- “Joyeux Noël, Monsieur Propp. Merry Christmas, Mister Barran.” (Adieu l’ami)
Schlagwort-Archive: Medien
Rheinallee
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“Eine ähnliche mechanisierende und nivellierende Tendenz wohnt der Druckerpresse inne, die übrigens nie eine so allgemeine Bedeutung erlangt hätte, wenn ihre Erfindung nicht mit der Einführung guten und billigen Papiers zusammengefallen wäre.” (Egon Friedell)
Es gehört zu den Nebenwidersprüchen der vollgefressenen, geisteskranken Stadt, die sich so gern als Medienstadt sieht, dass keine der beiden lokalen Tageszeitungen in der Stadt selbst gedruckt wird. Vor drei Jahren machte die Verlagsgruppe Rhein Main ihr Druckzentrum an der Sauerwiese in Mombach dicht. Gut 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden freigestellt, transferiert, abgefunden und besozialplant. Und die Prägepresse wollte man nicht einmal als Dekoration der neuen Liegenschaften mitnehmen. Sie steht heute noch auf dem Gelände, das inzwischen an einen Logistikdienstleister verkauft wurde.
Große Bleiche 18-20 / Haus “Lit. D 292”
- “Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen.” (William Faulkner)
Mit dem Titel “Medienstadt” prahlt der Mainzer gerne. Dass die Stadt in der “guten alten Zeit” auch als Metropole der Medienkontrolle in die Annalen der Kommunikationsgeschichte Eingang fand, ist weniger bekannt.
In der Bundesfestung Mainz residierte ab 1819 mit der “Central-Untersuchungs-Commission” die erste bundesstaatliche Überwachungsbehörde (unter anderem für Medieninhalte) auf deutschem Boden.
PRISM in der Biedermeieridylle (auf diesen Zusammenhang hat jetzt Don Alphonso hingewiesen). Die Mainzer Zentralkommission wurde im Rahmen der Karlsbader Beschlüsse mit “Beschluß betreffend die Bestellung einer Centralbehörde zur nähern Untersuchung der in mehreren Bundesstaaten entdeckten revolutionären Umtriebe” am 20. September 1819 ins Leben gerufen.
Zweck war die “gemeinschaftliche, möglichst gründliche und umfassende Untersuchung und Feststellung des Thatbestandes, des Urprungs und der mannigfachen Verzweigungen der gegen die bestehende Verfassung und innere Ruhe, sowohl des ganzen Bundes, als einzelner Bundesstaaten, gerichteten revolutionären Umtriebe und demagogischen Verbindungen, von welchen nähere oder entferntere Indicien bereits vorliegen, oder sich in dem Laufe der Untersuchung ergeben möchten.”
Ihren Dienstsitz hatten die Mainzer Nachrichtendienstler (zumindest 1825) in der Großen Bleiche. Für dieses Jahr weist das Adressbuch dort im Haus “Lit. D 292” die “Central=Untersuchungs=Commission” nach. Heute steht dort unter der Hausnummer 18-20 ein nüchternes Bürogebäude.
Ob die Kommissionsschergen damals ihren Observations- und Sanktionspflichten auch 24/7 oblagen und zum Beispiel Pferdedroschken mit ähnlichen Verbotsschildern von ihrer Ausfahrt wegscheuchten, kann nicht mehr ermittelt werden.
Klosterstraße
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“Andererseits ergibt sich gewissermaßen als Grundsatz der Entwicklung des Nachrichtenwesens, daß die einfachsten Mittel, Formen und Methoden, wenn sie nur einmal eingebürgert und brauchbar befunden worden sind, auch von den vollkommensten und höchst entwickelten niemals wieder gänzlich und dauernd verdrängt und außer Gebrauch gesetzt werden können, sondern sich neben diesen erhalten, nur daß sie genötigt werden können, andere Aufgaben und Verwertungsgebiete aufzusuchen.” (Wolfgang Riepl)
Lerchenberg
Lerchenberg
“Es verdiente wohl, daß man am Ende des Jahres ein Gericht …”
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Große Bleiche
“,,, über die Zeitungen hielte, vielleicht machte dieses die Schreiber derselben behutsamer. (Lichtenberg)
“… wie man ja immer die Zeit totzuschlagen wünscht, wenn …”
- Bleichenviertel
“… sie keine Realität für einen hat.” (Kierkegaard)
“Man hat kein anderes Material als seine eigenen Erfahrungen” (Uwe Johnson)
- Uwe Johnson, Jahrestage
Johnson also – soll mir recht sein… Dieses Journal wurde im Juni 2009 begonnen und hat die Fahrten eines Radlers ins Umland der vollgefressenen, geisteskranken Stadt am Rhein begleitet. Seine nachmittäglichen und abendlichen Zweidrad-Touren sollten leidige Pfunde wenn nicht abschmelzen so doch wenigstens in erträglicher Weise im Schach halten. Zur Dokumentation und Selbstmotivaton entstanden mehr oder weniger gelungene Lichtbilder vom Wegrand, Trouvaillen, optische Notate aus dem Alltag.
Ergänzt wurden sie durch stichwortartige Tourenbeschreibungen, die sich häufig wiederholten, weil auch der Radler nur ein Gewohnheitsmensch ist und lieber erprobten Routen folgt als in-the-middle-of-nowhere (zum Beispiel auf dem Winternheimer Berg) nach befahrbaren Wegen zu suchen. Weil er eine gewisse Affinität zum Dummschwätzen und Wortmetzen nicht verleugnen wollte und konnte, wurde begonnen, die täglichen Aufnahmen mit Zitaten aus Literatur und Alltagskultur zu kommentieren. Wenn es sich ergab wurde das eine oder andere Datum auch mit eigenen Texten unterlegt, ohne damit dem Anspruch genügen zu wollen, jeden Tag einen Text mit “Streiflicht”-Qualiät zu liefern. Vorläufig bleibt “Gucki” ein Stadt-Land-Fluß-Feld-Wald-Wiesen-Blog ohne weitere Verpflichtungen.
Gleichwohl soll natürlich nicht verleugnet werden, dass das Blog zuweilen auch als Ego-Schmeichler instrumentalisiert wird. Deshalb wurde das bisher entstandene Textmaterial auch recht neugierig dem “Ich-schreibe-wie”-Stiltest der FAZ überantwortet, dem sich derzeit so ziemlich alle Blogger hingeben. Nun ist eine empirische Stilkritik ohne Offenlegung der Analysemechanismen ungefähr genauso zutreffend wie sintemalen die Auskünfte der Buchela – gleichwohl, dass Uwe Johnson als literarischer Pate erschien, hat dem Radler doch ein wenig geschmeichelt.