“Ein schändlich Aas, nicht weit vom schmalen Wegesraine …”

Saarstraße

    Saarstraße

“… auf Kieselsteinen hingestreckt.” (Baudelaire)

Zu den interessantesten Bewegtbildern aus dem Bereich der Fauna gehören Aufnahmen von Tieren, deren Existenz vor- oder rechtzeitig terminiert wurde. Die üblichen Verdächtigen – Wärme, Feuchte, Bakterien, Pilze, Maden und Insekten – gehen ihren Arbeitsplatzbeschreibungen gemäß zu Werke, ganz so, wie es der Lyriker in den “Fleurs du Mal” schildert. In den dazugehörenden Zeitrafferaufnahmen verschwindet zuerst das Fell, manchmal Gliedmaßen. Bisweilen verändern Beutegreifer die Lage des Kadavers, es wird fröhlich skelettiert, bis sich nur noch die Knochen vor dem Objektiv präsentieren.

Analog hätte man neulich, bei entsprechender Plazierung einer Kamera, das Schicksal eines toten Fahrrades verfolgen können, das an einer Bushaltestelle zerfleddert wurde. Gucki hat nur zwei Zeitpunkte im pedalen Verwesungsprozess erlebt, der sich in der Nähe der Universität abspielte. In den letzten Novembertagen war das Velo noch komplett und lag angekettet, wenn auch etwas derangiert, zwischen zwei Wartehäuschen. An diesem Dezemberfreitag – nun, man sehe selbst. Keine schöne Leich. Auch wenn das unbekannte Fahrrad von der Saarstraße zur Kategorie der “Winterschlampen” gerechnet werden muss, das hatte sie nicht verdient.

Über die Psychologie der Vernachlässigung von Zweirädern kann nun trefflich spekuliert werden. Der ehemalige Besitzer wird ein Student gewesen sein, ein akademischer Lebensabschnittsbewohner der vollgefressenen, geisteskranken Stadt, der die letzte Etappe auf abendlichen Weg in die nächste Amüsierlounge lieber in Gesellschaft bierflaschenzerschmeissender Freunde als auf einem mit Klebeband geflickten Fahrradsattel verbringen wollte. Immerhin hat er sein Eigentum ab- und angeschlossen. Dass irgendein dahergelaufener Vandale, nach Berücksichtigung der Umgebung entweder ein Kommilitone oder ein Fussballfan aus dem nahen Stadion, das Fahrrad umtreten würde, hatte niemand auf der Rechnung.

Und wenn er sich am Morgen darauf oder an einem der nächsten Tage gegen den Drahtesel und eine Reparatur entscheiden hatte, ist ihm das auch nicht vorzuhalten. Die meisten mikroökonomischen Nutzenfunktionen geben ihm recht, und nur ein passionierter Pedalista wendet sich kopfschüttelnd und bildet Sätze, die mit “früher” beginnen und mit “besser” enden.