- Schillerplatz
“… längst überholter Gaunereien (Arno Schmidt über Medienberichterstattung, Caliban über Setebos)
Mit einem anderen Zitat des Schriftstellers Arno Schmidt (1914-1979) hat der SWR im Vorfeld der Literaturnacht die Westflanke des Schillerplatzes dekorieren lassen. Zwischen Kleiner Langgasse und Ludwigstraße prangt in gut halbmeterhohen Lettern eine Bemerkung aus Zettels Traum.
Nun könnte aber aus der pseudointellektuellen Redakteursübung gar mancher “Phall-Strick” – um in der Etymologie Arno Schmidts zu bleiben – gedreht werden.
So unschuldig-literarisch ist das Zitat nämlich nicht, das die gewohnte Altmännererotik des Schmidtschen Spätwerkes verströmt.
Da fällt die Vokabel “Männerstrünke” – “weiße Strünke” werden zur Beschreibung einer Sexszene in einem anderen Text Schmidts (“Seelandschaft mit Pocahontas”) genannt. Da ist es von “ganz= brutal gesagt” nicht weit zur “Frau”. Und natürlich werden Buchseiten “aus’nander”-gezogen.
Klimpert die Chauvi-Kasse schon?
Und sehr viel, lieber SWR, hatte Arno Schmidt mit der mediokren Provinz und der vollgefressnen, geisteskranken Stadt am Rhein nicht zu schaffen. Zugegeben, die hiesige Akademie der Wissenschaften und der Literatur erkannte ihm 1950 den “Großen Akademie-Preis für Literatur” und 2000 DM zu.
Dass der Kontakt mit den hochgelehrten Exzellenz-Mainzern die reine Freude nicht war, spiegelt seine Erzählung “Goethe und Einer seiner Bewunderer” (1957): Eine Akademie beamt einen bemerkenswert pampigen Goethe aus dem Jenseits in die Nierentisch-Gegenwart, und Schmidts Alter Ego hat den reanimierten kreglen Olympier durch eine Stadt – vielleicht Mainz – zu führen.1950 war Schmidt mit anderen Kriegsflüchtlingen in Gau-Bickelheim untergekommen. Eindrücke von Land und Leuten gibt entsprechend “Die Umsiedler” (1953) wieder: “Es ist zwar wohl nicht mehr mit Sicherheit zu bestimmen, in welcher Gegend der Erde das Paradies gestanden hat, aber hier keck nicht.« »Kuck ma die Figuren an den Häusern«: jaja: in kleinen Nischen standen bunte Marien und Jesusse, Gips mit Ölfarbe: drei Mark pro Kitsch, blieben angeblich manchmal in Feuersbrünsten unversehrt, bedauerlicherweise…”
Am nächsten rheinland-pfälzischen Wohnort, Kastel in der Saarpfalz, durfte Schmidt die hiesige Justiz kennenlernen. Der Staatsanwaltschaft Trier gefiel es, ihn für “Seelandschaft mit Pocahontas” (siehe oben) mit einem Verfahren wegen Gotteslästerung und Pornographie zu überziehen.
Eine Mainzerin schließlich dient Schmidt 1955 als literarische Personalreserve. Kathinka Zitz-Halein ist das Vorbild der Tina in “Tina oder über die Unsterblichkeit”. Die dystopische Kurzerzählung malt die negativen Folgen literarischer Unsterblichkeit aus. Solange noch schriftliche Zeugnisse zum Erdenleben eines Schriftstellers existieren, muss er sich in der Hohlwelt eines unterirdischen Elysium langweilen – möglicherweise Jahrtausende.
Der hiesigen Kulturschickeria, die sich zur SWR-Literaturnacht am Abend vor Goethes Geburtstag am Schillerplatz ihr habituelles Stelldichein geben wird, sei ähnliches gewünscht: Auf ewig zu Weck, Worscht un Woi mit den Feuilletonredakteuren der Lokalzeitungen herumstehen zu müssen…